Forschung + Technik


Explosionen im Auge


Nachts auf einer verregneten Landstraße bei Nürnberg: Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos rauben Rudolf Gollwitzer, 64, die Sicht. Geblendet wendet er den Kopf ab, befürchtet, von der Fahrbahn abzukommen. „Ich konnte mich nicht mehr auf meine Augen verlassen und beschloss, aufs Autofahren künftig ganz zu verzichten“, erinnert sich der pensionierte Postbeamte aus Fürth. Sein Augenarzt Wolfram Wehner konnte ihn jedoch beruhigen. Der leitende Belegarzt an der Maximilians-Augenklinik in Nürnberg diagnostizierte bei Rudolf Gollwitzer einen Grauen Star und empfahl einen neuartigen Lasereingriff, um die trübe Linse zu entfernen.

Nicht einmal jeder 100. Patient mit Grauem Star wird hierzulande mit Laserstrahlen behandelt. Dabei, behaupten Laseranwender, könnten sie bei speziell ausgewählten Patienten die Linsentrübung sanfter und sicherer beheben. Immer mehr Augenchirurgen interessieren sich für die moderne OP-Technik, da sie mit winzigsten Schnitten auskommt. Die meisten Fachkollegen, vor allem die an den Universitäten, bleiben aber skeptisch. Zu spärlich seien die Erfahrungen mit der kaum zehn Jahre alten Methode.

550000-mal jährlich entfernen Spezialisten in Deutschland den Grauen Star. Fahle Farben, schwache Kontraste, verschwommene Konturen beeinträchtigen die Patienten so stark, dass sie ihre Augen den Chirurgen anvertrauen. Kein anderes Organ ist öfter im Visier der Operateure. Zu 95 Prozent greifen sie dabei zur Ultraschallsonde, mit deren vibrierender Titanspitze sie die trübe Linse zertrümmern. „Der Eingriff zählt bereits heute zu den sichersten Operationen überhaupt“, beschreibt Ekkehard Mehdorn, Augenexperte vom Marienhospital in Aachen, den rasanten Fortschritt dieser Therapiemethode. Er räumt jedoch ein, dass zu viel Ultraschall das Augengewebe, etwa die Hornhaut, schädigen könne, vor allem bei lange dauernden Prozeduren.

Mit geringerem Energieaufwand und weniger Traumatisierung der empfindlichen Strukturen im Auge kommt dagegen eine neue lasergestützte Operationsmethode aus. Kalte gepulste Laserstrahlen lassen an der Spitze eines speziell entwickelten Instruments Mikroexplosionen entstehen. Die resultierende Druckwelle zerstört den Linsenkern mechanisch und löst ihn auf. Während bei der etablierten Ultraschallmethode die Titanspitze der Sonde Hitze erzeugt und bei Berührung Hornhaut und Lederhaut verletzen kann, bleibt das Laserinstrument kühl.

Die neue Methode, die vor zehn Jahren in den USA erstmals an Patienten erprobt wurde, setzen weltweit erst etwa 100 Zentren ein. Tausend dieser Eingriffe haben New Yorker Forscher in einer Multicenter-Studie analysiert und ihre Ergebnisse letztes Jahr im renommierten „American Journal of Ophthalmology“ veröffentlicht. Die Technologie habe sich als sichere und effektive Alternative für die Operation am Grauen Star behauptet, resümiert der Studienleiter Anastasios Kanellopoulos von der New York University.

An die 1000-mal hat der Nürnberger Augenarzt Wehner Laserpulse zur Entfernung von Linsentrübungen eingesetzt und dabei die Technologie weiterentwickelt. Als größten Vorteil der Methode schätzt er die geringere Verletzung des Gewebes, vor allem der Hornhaut. Das feine Laserinstumentarium lässt sich durch Schnitte von nur 1,4 Millimeter Länge ins Auge schieben. Die Ultraschallsonde benötigt dafür die doppelte Schnittlänge, ältere Methoden sogar bis zu acht Millimeter. „Die winzigen Wunden müssen nicht vernäht werden, weil sie sich wie ein Ventil von allein verschließen“, erklärt Wehner. Je kleiner der Schnitt, desto geringer ist außerdem das Risiko für eine der gefürchtetsten OP-Folgen, die lästige Stabsichtigkeit.

Ein Problem stellte sich bislang den Laseranwendern: Durch die extrem kurzen Schnitte ließen sich herkömmliche Kunstlinsen nicht ins Auge implantieren. Dies zwang die Chirurgen, die Öffnungen in der Hornhaut zu erweitern. Erst jetzt steht auch außerhalb von Studien eine neue Generation von Kunstlinsen zur Verfügung, die besonders dünn sind und sich im gerollten Zustand durch 1,4 Millimeter große Öffnungen einführen lassen.

Gerade diese filigranen Implantate betrachten viele Augenärzte mit Skepsis. „Derartig feine Kunststoffplättchen könnten sich womöglich durch zelluläre Veränderungen im Auge verformen“, befürchtet Friedrich Rentsch, Direktor der Augenklinik am Vincentius-Krankenhaus in Karlsruhe. „Um diese Gefahr auszuschließen, sind weitere Studien und Langzeitunter-suchungen notwendig.“

Zudem können längst nicht alle Patienten mit Grauem Star von den Laserpulsen profitieren: Ist ihre Linsentrübung bereits weit fortgeschritten, kann das Laserinstrument deren festen Kern nicht mehr fragmentieren. Der Chirurg muss auf die etablierten Methoden, etwa Ultraschall, zurückgreifen. Solche Patienten machen hierzulande knapp 30 Prozent der OP-Kandidaten aus, erklärt Wolfram Wehner und betont: „Erst die individuelle Auswahl der Operationstechnik entscheidet über den Erfolg des Eingriffs.“…………………………….....

Auszug Focus 8/2002